Wenn man als Reiseleiter tätig ist, dann hat man einige Geschichten schon oft erzählt. Man entwickelt eine gewisse Routine und hat seine darstellerischen Mittel gut im Griff. Und trotzdem. Es passiert mir manchmal, dass mir die Stimme versagt.
Ich schreibe diesen Blog-Eintrag am 20. Dezember 2019. Vor genau 30 Jahren haben die Bürger meiner Heimatstadt Temeswar/Timișoara ihre Stadt – nach 5-tägigem Widerstand gegen das kommunistische Regime – als freie Stadt ausgerufen. Am 21. Dezember 1989 greifen die Proteste auch auf Bukarest und andere Städte Rumäniens über.
1989 ist ein Schlüsseljahr für Europa. Die Berliner Mauer fällt Anfang November und im Osten Europas fallen die kommunistischen Regierungen ohne Blutvergießen. Nicht so in Rumänien. Knapp 100 Menschen werden in Temeswar erschossen oder von Kampfwagen überfahren. Die ersten 40 Leichen verbrennt der berüchtigte Geheimdienst Securitate und wirft die Asche in einen Kanal. Über 1.100 Menschen sterben bei der Revolution in ganz Rumänien.
Und hier in meiner Heimatstadt hat alles begonnen. Hier fanden zuerst Hunderte, dann Tausende, dann Zehntausende den Mut gegen ein ungerechtes Regime zu protestieren und für ein höheres gemeinsames Ideal auch das höchste Opfer in Kauf zu nehmen. Diesen kollektiven Rausch der Freiheit erleben zu dürfen ist ein Privileg, das einem nur einmal im Leben zuteil wird. Oder nie. Und es ist auch nur 30 Jahre her. Deshalb sei die eine oder andere Emotion in diesem Zusammenhang erlaubt.
Wenn Sie nach Temeswar kommen, erwartet Sie hier nicht nur ein schöner historischer Stadtkern und der Flair einer Stadt, die Westen mit Osten verbunden hat. Es erwartet Sie erlebte Geschichte.
Foto: Constantin Duma / Temeswar
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